Holocaustleugner, der Papst und Kierkegaard

In Anbetracht des meines Erachtens nach skandalösen Benehmen des Oberhauptes der katholischen Kirche, möchte ich ein wenig was dazu sagen.
Nach einer scharfen Zurechtweisung von Angela Merkel reagiert der Papst also empört. Sehr interessant. Doch noch interessanter finde ich daran die Kritik derjenigen Menschen, die sich „Katholiken“ nennen, oder doch zumindest bei der Erhaltung dieses Vereins beteiligt sind. Sie bleibt nämlich, wenig überraschend, wieder einmal aus, oder dort wo sie geübt wird ist sie ein zahnloser und gezwungen anmutender Gestus.
Moment, könnte man mir hier entgegnen: „Es gibt doch wohl nachweislich genügend öffentliche Einsprüche gegen die neusten Aktionen des Papstes, z.B. bei der Rehabilitierung von Holocaust Leugnern und beim Einsetzen eines theologischen Fundamentalisten in hohe kirchliche Ämter!“
Da mag etwas dran sein, ich hab die leeren Worthülsen auch gehört. Aber: Hat das den Papst beeindruckt? Oder irgendjemanden im Vatikan? Oder hat es einen Kirchenzweifler davon überzeugt, dass „die Katholiken“ ja eigentlich doch keine so üblen Gesellen sind? Ich denke nicht.
Aber, so kann man weiter einwenden: „Das sagt ja nur der Papst, aber bei den einzelnen Gläubigen in den Kirchen ist das ganz anders!“
Da mag etwas dran sein, ich möchte das mit einem Zitat beantworten, das man hier nachlesen kann, indem man aber „akademische Linke“ für diese zwecke durch „Katholiken“ ersetzen muss. Meiner Ansicht nach stellt die Situation der selbsternannten „rechtschaffenen, aber nicht erhörten Gläubigen“ genau so eine Struktur der Selbstlegitimierung in der eigenen Untätigkeit dar.
Die These die ich vorbringen möchte, ist an Kierkegaard angelehnt: Wenn es diesen Menschen, diesen „aufrechten Katholiken“ die dem Vatikan widersprechen, wenn es diesen Menschen mit ihrem Glauben ernst wäre, dann gäbe es die Struktur der katholischen Amtskirche nicht mehr. Dann wären die meisten Menschen schon aus der Kirche ausgetreten und die letzten Fundamentalisten wären ein trauriger aber theologisch wie politisch bedeutungsloser Haufen. Aber es ist eher wie Kierkegaard schon anprangerte: Die Einzelnen lassen sich hier von den Sicherheiten, die das Allgemeine ihnen bietet einlullen, sie bleiben in einer uneigentlichen Allgemeinheit gefangen, sie ergreifen sich nicht selbst, sie sind Sklaven des Allgemeinen.
Ich hege indes keine Hoffnung, dass sich an dieser katholischen Struktur etwas ändert. Der Punkt, der mich aufregt ist dieser unhinterfragte Selbstbetrug, diese Trennung von der „Kirche für uns Gläubigen“ und in die „Kirche des Vatikans“. Hier ist der religiöse Glaube unauthentisch, er ist eine Entschuldigung, ein Placebo für eigene Ängste.
„Ja wirklich schrecklich was der Papst da schon wieder gesagt hat. Bei uns im Pfarrkaffee ist das ja ganz anders. Austreten? Ich? Nein, warum?“

8 Antworten to “Holocaustleugner, der Papst und Kierkegaard”

  1. von mir Says:

    Nur ein paar unwissenschaftliche und unvollständige Gedanken dazu 

    Vielleicht ist es wichtig, dabei zu beachten, dass Kirche kein Verein ist, aus dem man austreten könnte und dann wäre man nicht mehr dabei bzw. beteiligt. Ein Vergleich: falls es österreichische Politiker geben sollte, die ein skandalöses Benehmen an den Tag legten, skandalöse Aussagen und Handlungen setzten usw. (ok., das war jetzt zynisch), könnte ich dann aus Österreich austreten? Ja, ich könnte auswandern, aber bliebe doch auch immer zu Österreich gehörend … Österreich ist kein Verein … die Kirche auch nicht.

    Die Frage ist: wie geht man um mit skandalösen Aussagen und Handlungen von diversen Amtsträgern der Kirche, wenn einem das, wofür Kirche eigentlich steht, für einen ganz persönlich Heimat und Lebenswelt ist? Immigration? Emigration?

    Was mir Heimat gibt in dieser Kirche, habe ich einmal in einem Text von D. Sölle entdeckt, sie hat es so ausgedrückt: „Ich möchte hier einen Grund nennen, warum ich die Kirche brauche und ihre Tradition liebe. Sie ist ein Raum langfristiger Erinnerung der Geschichten vom möglichen Leben. Die Kirche stellt einen Raum dar, in dem solche Geschichten erzählt werden. Über zweitausend Jahre lang werden buchstäblich Tag für Tag in den Einrichtungen der Kirche die Geschichten vom Geist Gottes erzählt, vom Gott der Armen, von der Bergung des verlorenen Lebens.

    Es wird erzählt, dass die Weinenden lachen werden, dass die Tyrannen gestürzt werden und dass die Lahmen einmal springen werden wie Hirsche. Es wird nicht verschwiegen, was dem Leben versprochen ist und wie es sein soll.

    Manchmal wird diese Geschwisterlichkeit im Raum der Kirche verdunkelt; die Hierarchie hat strukturell etwas Geschwisterfeindliches an sich. Aber es stehen immer wieder Menschen und Gruppen auf, die die alten Geschichten ausgraben und ans Licht zerren, vielleicht auch gegen die Kirche selber. Unglaubliche Geschichten wie die von der Auferstehung brauchen einen Raum, in dem sie leben dürfen, sie sind mehr als die Phantasie und Erzählkraft eines einzelnen. Geschichten vom Leben der Verlorenen und von der Auferstehung der Toten sind ebenso unglaublich wie unentbehrlich.
    Ist es nicht zumindest denkbar, dass die Gebeugten und Schwachen einen Raum haben, wo sie wohnen können?“

    Ja, so denke und sehe ich das auch. Gerade dann, wenn von der „Hierarchie“ wieder einmal unglaubliche Geschichten einer ganz anderen Art erzählt werden … dieser Raum, in dem die Gebeugten und Schwachen wohnen können, wird gerade dann schmerzhaft unentbehrlich. Aus den Geschichten von den Weinenden, die getröstet werden, von den Tyrannen, die gestürzt werden, will ich nicht austreten.

    Ich widerspreche mit meinem Leben. So gut mir das eben gelingt. Und ich weiß, dass es viel zu oft auch misslingt. Ich kann nicht die Verantwortung tragen und übernehmen für Aussagen des Papstes oder eines Weihbischof oder wessen auch immer. Mir genügt, was mir alles täglich misslingt auf dem „Weg durch die Wüste“. Dafür trage ich meine Verantwortung. Aber warum ich weitergehe? …da sind diese Geschichten vom möglichen Leben……….

  2. Ebenso weit entfernt von Wissenschaftlichkeit oder Vollständigkeit:
    -) Die „Kirche“ ist wie „Österreich“ sehe ich dahingehend als Vereine, da sie Erfindungen der Menschen sind. Wenn ich aus Österreich ausreise und mich von diesem Land lossage, fortan nicht mehr so tue als ob ich Österreicher wäre – dann bin ich kein Österreicher. Ich denke nicht, dass es ein „Wesen des Österreicherseins“ gibt, das mich zwingt, bei ihm zu bleiben, auch wenn ich mich davon distanzieren möchte. Wenn ich mit vollem ernst und gutem Gewissen sagen kann, ich möchte aus der Amtskirche austreten, mit dieser Unterdrückungsstruktur nichts mehr zu tun haben – dann kann mich wohl nichts auf der Welt davon abhalten. (Waffengewalt vielleicht aber innerlich kann mich nichts abhalten – ist das nicht eine Lehre der Urchristen?)

    -) Was du hier beschreibst ist alles schön und ebenso wichtig, aber es hat meiner Ansicht nach nichts mit Religion zu tun. Das sind alles ethische Aufrufe, sich um Andere zu kümmern, im schlechten Falle mit einem Gott der diese Ansprüche legitimieren muss. Ich meine mit dem schlimmsten Fall, dass dieser Gott sonst als Bestrafender auftritt.
    Die communitas im christlich religiösen Sinn kann meines Erachtens nach nicht in einem Pfarrkaffee erreicht werden. Wenn es um ein wirkliches religiöses Zusammentreffen und religiöses zusammen Feiern gehen soll, muss jeder Mensch sich als Einzelner ergriffen und als Einzelner den paradoxalen Sprung in den Glauben getan haben, von dem Kierkegaard spricht.
    Meiner Ansicht nach sind Mystiker am nächsten an dem, was mir unter religiösem Glauben vorschwebt.

  3. von mir Says:

    …ausreisen kannst du aus österreich …keine frage …auch dich lossagen … aber du wirst z.b. weiter in der muttersprache denken … eventuell heimweh verspüren … du wirst deine österreichische schulbildung nicht abstreifen können … deine österreichische familiengeschichte …in dieser weise wirst du immer zu österreich gehören … und so is es auch mit der kirche für mich ….

    ….und sonst: ja ……..die gemeinsame mystik ist ein wesentlicher grundpfeiler der kirche …(neben der Geschwisterlichkeit und einer gemeinsamen Politik/Option für die Benachteiligten) …diese drei grundpfeiler stehen zueinander in beziehung … je mystischer die kirche ist, desto geschwisterlicher und politischer ist sie … ein mangel an politik ist zugleich ein Mangel an Mystik und Geschwisterlichkeit … die geschwisterlichkeit wurzelt in der Mystik und Politik (das unterscheidet christliche communitas von der eines kegelvereins) ……..mystik verstanden als: das verwurzelt sein in Gott …

  4. „die geschwisterlichkeit wurzelt in der Mystik und Politik (das unterscheidet christliche communitas von der eines kegelvereins)“#

    Geschwisterlichkeit und die Option für die Benachteiligten alleine können die Kirche nicht ausmachen. Das sind Ideale die bereits vor dem Christentum anderen Gemeinschaften zu Grunde gelegt wurden (vermutlich sogar unzähligen) und in fast jeder „größeren“ Geistesgemeinschaft bestehen. Was das Heimweh angeht: Heimweh verspürt man meiner Ansicht nach grundsätzlich wenn man einen Erinnerungsort verlässt. Und ich finde es nicht abwegig, dass das auch bei einem Kegelverein sein sollte. Ich kann nachvollziehen, dass viele Menschen sich in der Kirche wohl fühlen, eine Gemeinschaft vor Ort haben, in der sie akzeptiert werden, dass sie dort soziale Arbeit leisten und die Kirche überhaupt sehr stark in den Alltag miteingeflochten ist. Abwegig finde ich das alles nicht. Nichtsdestotrotz ist die katholische Kirche nicht nur lokal, sie ist vor allem auch global, auch wenn es selten Teil des Alltags ist. Mystik ja, aber notwendigerweise auch Verantwortung für das Ganze. So wie bei jeder anderen Gemeinschaft.

    Dennoch halte ich es nicht für angebracht, alle Katholikan für das Handeln des Papstes verantwortlich zu machen (abgesehen davon, dass man es so ohne weiteres scherlich beurteilen kann). Nach den massiven Austritten wird es auch in der Kirche weitere Diskussionen über die Papst und dessen künftige Bedeutung geben.

  5. zu deinem letzten Punkt: Es gibt eben genau keine Diskussion über den Papst oder ähnliche Ämter. Die Schuld für die massiven Kirchenaustritte sucht man im Vatikan nicht bei sich sondern bei den „dummen Menschen“ die die „Wahrheit“ nicht erkennen wollen (und am Ende gar Homosexuelle als „gesund“ anerkennen wollen. Wo kämen wir denn da hin, ins paradies sicher nicht).
    Deswegen meine ich auch, dass man als Katholik aufhören soll, sich hinter der Erklärung zu verstecken, dass man selbst es ja ganz anders machen würde, aber „die da oben“ lassen einen ja nicht. Wenn sich statt dessen all diese unzufriedenen Katholiken sich dazu bekennen würden, dass sie nun einmal wesenhaft mit der Amtskirche verbunden sind, dann würde leichter die Einsicht nach Handlungsbedarf kommen.
    Meiner Ansicht nacht will man schneller etwas zum guten verändern, wenn es einem wichtig ist. Wenn man sich andauernd symbolisch von etwas distanziert ist es einem nicht wichtig genug und es wird sich nichts verändern.

  6. Damit magst du Recht haben, allerdings gilt das ja grundsätzlich für alle Menschen und ist – insbesondere seitdem wir über so viele Informationen verfügen (oder besser: verfügen können) – typisches Merkmal einer liberalen Gesellschaft. Meine Einwände:

    1. ist es nicht so liberal wie es scheint: Kirche nimmt nach wie vor in vielen Gesellschaftsbereichen (in Frankreich, Österreich, Deutschland oder der Schweiz sieht es anders aus als in Dänemark, Schweden oder Polen [wie man sieht beziehe ich mich nicht nur auf die katholische Kirche]) eine relevante Variable für den Alltag, weswegen einem Ausstieg durchaus auch erhebliche (und teilweise selbstinduzierte) Zwänge gegenüberstehen.
    2. muss der Vorwurf gerechterweise auch allenanderen Bereichen der „liberalen“ Gesellschaft gegenüber geäußert und in dieser Hinsicht relativiert werden. Die Frage ist: Wie weit ist Lethargie nachvollziehbar (ich sage bewusst nachvollziehbar und nicht gerechtfertigt)? Außerhalb der Kirche konsumieren Menschen Textilien, Industrieprodukte oder Textilien (nur einige singuläre Beispiele) ohne sich als Bindeglied einer Kette zu verstehen, das sie aber wissentlich sind. Viele Menschen bemühen sich nicht darum, herauszufinden, was ein „sozialverträgliches“ T-Shirt kostet. Auch das bedauere ich und versuche daran etwas zu ändern. Nichtsdestotrotz bin ich der Meinung, dass man versuchen muss verstehen, weswegen sich Menschen damit nicht befassen, denn in vielen Fällen hat es damit zu tun, wie Menschen in den gesellschaftlichen Kontext eingebettet sind (z.B. dass sie glauben, ihr Leben nicht ökologisch oder sozial verträglich zu finanzieren, weil sie für diese Veränderung die Beibehaltung des Status quo voraussetzen). Kierkegaard ist da ein liberaler Idealist. Ich sehe das etwas problematischer, weswegen ich der Meinung bin, dass die Kritik an dem „unmoralischen“ Verhalten vielleicht etwas bringt, vor allem jedoch den Bereichen Beachtung geschenkt werden muss, die die Menschen durch ihre soziale Struktur dazu bringen, an der Struktur nichts zu ändern, obwohl sie mit einzelnen Elementen nicht einverstanden sind. Ein Freund aus Polen, der homosexuell ist, erzählte mir vor einiger Zeit, dass er einmal in die Beichte ging und beichtete, dass er vorehelichen Geschlechtsverkehr hatte. Dass es Geschlechtsverkehr mit einem Mann war, verheimlichte er. In diesem Fall wird es ersichtlich, dass die Bedeutung von Rom nicht mit der Bedeutung der Kirche auf subjektiver Ebene gleichgesetzt werden kann. Für manche ist die Kirche ein (alternativloser) Zufluchtsort.

    Gestern hörte ich im Radio, dass Mahmud Abbas in seiner Dissertation die Behauptung aufgestellt hat, es seien weniger als eine Million Juden umgekommen. Auf Wikipedia fand ich die Information, dass er sogar zunächst zionistische Organisationen verdächtigt hatte, am Massenmord beteiligt gewesen zu sein, wovon er sich später distanziert. Über weitere Distanzierung weiß ich nichts, das wäre zu prüfen. In jedem Fall kommuniziert man nach wie vor mit ihm und das hat einen sehr funktionalen Grund.
    Mein Vorschlag: Kritisieren wir moralisch, aber schauen wir vor allem auf die Bedingungen des Handelns und versuchen da etwas zu ändern.

  7. Rico Drechsler Says:

    Lieber Verf.,

    ich möchte einige Bröcklein anmerken zu ihrer Kierkegaardauslegung.
    Nach meinen Kierkegaardkenntnissen brechen Sie in ihrer Interpretation vom Verhältnis Einzelner – Allgmeines zu früh ab. Sie sehen richtig, dass
    Kierkegaard daran gelegen ist, durch das Allgemeine hindurch zu stoßen.
    Kurze Nebenbemerkung: Diese Vereinzelung ist bei Kierkegaard ein Akt des Glaubens, weil der Geist des Menschen sich nicht selbst setzt, sondern von Gott gesetzt wird im Glauben.
    Nachdem also der Einzelne zum Einzelne geworden ist, ist es nach SK aber die Aufgabe nun wieder sich im Allgmeinen zu verwirklichen. Das können sie z.B. gut in Furcht und Zittern nachlesen. (Ich kenne die These, dass er als er FZ schrieb noch an einen Ehe mit Regine glaubte und nachher auch das Ergreifen des Allgemeinen fallen gelassen habe, aber das ist angesichts dessen, dass er hier das Paradox des Glaubens bei Abraham von Jesus Christus her enfaltet viel zu kurz gegriffen.)
    Wie würden sie also nach der Vereinzelung das Sein im Allgemeinen (Römische Kirche) beschreiben?
    Das ließe sich auch SK´s Aufruf zum Austritt auf die damalige lutherische Staatskirche übertragen.

    • Nun ich habe nicht gesagt, eine vollständige Kierkegard-Exegese vorzunehmen. Nach meiner Kierkegard Lektüre meine ich, behaupten zu können, dass es Kierkegard nicht um eine bloße „veriwrklichung im Allgemeinen“ ging, nachdem sich das Subjekt vereinzelt hat. Es geht sodann um einen paradoxen Sprung in den Glauben, nicht um eine ruhige Verwirklichungslogik. Dieses paradoxale, dieses Jenseits der Vernunft, in das man erst „springen“ muss, hat meiner Ansicht nach nichts mehr mit dem „bloßen Allgemeinen“ zu tun, in dem man sich zuvor befand, dem heideggerschen „man“ quasi. Allerdings muss man sich das Allgemeine uasi aneignen, um sich darin bewegen zu können, und das müssen wir als menschen stets. Der Status dieses Allgemeinen ist aber sodann ein ganz anderer, viel niedrigerer als zuvor.

      lg

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